Urbanisierung

Der Megatrend und die neue Sehnsucht nach dem Ursprünglichen

Einst war der Bauspartvertrag der Schlüssel zum deutschen Glück: irgendwann ein trautes Eigenheim mit Garten zu besitzen, irgendwo in der ländlichen Idylle - der Traum vieler Menschen. Und heute? Heute spielt sich das Leben vielfach in den Städten ab, das Land scheint ausgedient zu haben - Urbanisierung ist der Trend.

New York, London, Berlin

Die Menschen zieht es in die Städte, vor allem die Jungen verlassen zunehmend die ländlichen Regionen. Aber auch Familien siedeln sich neuerdings in den boomenden Metropolen an. Die Städte wachsen, die Mieten steigen. Urbanisierung, die Ausbreitung städtischer Lebensformen ist ein Phänomen, das rund um den Globus zu beobachten ist.

DIE MEGA-URBANISIERUNG

Während Industriestaaten wie Deutschland oder die Vereinigten Staaten den Höhepunkt der Urbanisierung bereits im Laufe des 20. Jahrhunderts erlebt haben, durchlaufen Schwellen- und Entwicklungsländer zurzeit eine Hochphase der Mega-Urbanisierung. Vor allem in Asien und Afrika boomen die Städte. So leben etwa 46 Millionen Einwohner im chinesischen Guangzhou – der weltweit größten Metropole überhaupt. Die Tendenzen zu solchen Megastädte sind weltweit steigend. Lagos, Nigerias ehemalige Hauptstadt, gilt Prognosen zufolge etwa als eine der größten Städte der Zukunft. Für das Jahr 2100 rechnen Experten hier mit bis zu 88 Millionen Einwohnern – im Vergleich dazu: In Deutschland lebten 2017 insgesamt rund 83 Millionen Menschen. Kaum vorstellbar, oder?

WAS ZIEHT DIE MENSCHEN IN DIE STADT?

Die Gründe für die Landflucht sind vielfältig und doch weltweit ähnlich: höhere Bildungschancen, bessere Arbeitsmöglichkeiten, eine Fülle an Kultur- und Freizeitangeboten, 24/7-Öffnungszeiten und ständige Verfügbarkeit. Großstädte bieten ein schier endloses Meer an Möglichkeiten. Sie lassen, so scheint es, keine Wünsche offen. Städte sind Wachstumsmotoren: Hier bündeln sich Personal und Kapital, der Arbeitsmarkt ist breit gefächert. Gute An- und Verbindungen, eine effektive Vernetzung und eine moderne Infrastruktur machen Megastädte zu Megazentren der Produktivität. Wer Selbstverwirklichung oder Erfolg sucht, zieht in die Stadt.

DIE SCHATTENSEITEN DIESER ENTWICKLUNG

Dass weltweit pro Tag rund 190.000 Menschen in eine Stadt ziehen, stellt sie vor wachsende Herausforderungen. Denn Rückzugsmöglichkeiten im öffentlichen Raum schwinden, Wohnraum wird knapp und folglich teuer, die Straßen sind überlastet und die Versorgung mit Wasser und Strom funktioniert stellenweise nur unzureichend. Hinzu kommen Folgen für das natürliche Ökosystem, die auch auf die Bevölkerung zurückwirken können. So bringt die großflächige Verstädterung eine starke Umweltverschmutzung mit sich. Die Biodiversität reduziert sich zunehmend, der Ressourcenverbrauch nimmt in unhaltbarem Maße zu, ebenso wie die Abfallproduktion und Luftverschmutzung. Gleichzeitig wachsen in vielen Megastädten Ungleichheit und Armut, die sich zumeist auf bestimmte Stadtviertel konzentrieren und in Gewalt und Kriminalität umschlagen können.

DER GEGENTREND - SUBURBANISIERUNG

In den Industrienationen ist der Zenit des Urbanisierungsbooms bereits überschritten. Zwar werden die Städte hier künftig noch (gemäßigt) weiterwachsen, gleichzeitig entwickelt sich gegenwärtig aber ein ganz anderer, konträrer Trend. Die Sehnsucht nach dem Land. Im Zuge der sogenannten Suburbanisierung, der infrastrukturellen Erschließung ländlicher Regionen, wird das Land zunehmend attraktiver. In einigen Metropolen zeigt sich dieser Gegentrend bereits: Stadtzentren lösen sich häppchenweise auf, der ursprüngliche Stadtkern verschwindet, die Ausläufer der Stadt fließen in ländliche Gegenden. Sie profitieren von der neuen Entwicklung: neben technischer Infrastruktur nehmen Sport-, Kultur- und Freizeitangebote sowie der Wohlstand der Landbevölkerung zu. Doch nicht nur das Land selbst kann von der Suburbanisierung profitieren. Auch für die Arbeitswelt eröffnen sich neue Möglichkeiten. Denn der ländliche Raum birgt die eine oder andere angenehme Überraschung für das Arbeiten von morgen.

SEHNSUCHT NACH DER NATUR

Im Berufsalltag hetzt man von Termin zu Termin, neue Projekte sind in der „Pipeline“, Deadlines nahen und Großraumbüros erschweren die Konzentration. Da ist es nicht verwunderlich, dass die Sehnsucht nach dem Ursprung – ein Phänomen, das in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens bereits fest verankert ist – nun auch auf die Arbeitswelt überschwappt. Die Menschen sehnen sich nach dem Ursprünglichen, dem Natürlichem, dem Echten – kurz: nach der Natur. Die Sehnsucht nach der Natur und der Drang, die Stadt hinter sich zu lassen, machen sich in verschiedensten Lebensbereichen bemerkbar.

WAS DIE SEHNSUCHT BEWIRKT

Derzeit sind Veränderungen besonders stark im Ernährungs- und Gesundheitswesen zu beobachten: Die Nachfrage nach natürlichen Produkten ist hoch wie nie, nachhaltige Ernährung ist in. Aber auch bei Städtern zunehmend beliebte Beschäftigungen wie Urban Gardening, Wochenendurlaub auf dem Land oder Kurse zu Holzhacken und Brotbacken spiegeln die tiefe, menschliche Sehnsucht nach der ländlichen Idylle der Natur wider. Denn hier findet der Mensch, wonach er sich im stressigen Alltag der lärmenden Großstadt sehnt: Ruhe und Entschleunigung. Etwas, das auch der Arbeitswelt guttäte!

BUSINESS AUF DEM LAND?

Das lässt sich nicht so einfach unter einen Hut bringen, oder? Das Gegenteil scheint der Fall, schließen sich die Begriffe doch geradezu aus. Business, das verbindet man mit pulsierenden Metropolen, Dynamik, 24/7-Erreichbarkeit, schnellem WLAN – Großstadt eben. Und das Land? Steht als Synonym für die Natur, für Weitläufigkeit, grüne Wiesen, weite Felder und für Stille. In ländlichen Regionen findet man Ruhe, Fokus, Inspiration, Freiraum für Gedanken und Kreativität. Klingt eigentlich gar nicht schlecht. Um dies zu erkennen, muss man sich nur von Vorbehalten gegenüber dem Land verabschieden – Ödnis und Hinterwäldler sind Klischees, die dem Land als Arbeitsraum nicht gerecht werden.

THINK OUTSIDE THE BOX

Getreu dem Motto „Think outside the box – raus in die Natur!“ birgt das Land ungemeines New-Work-Potenzial. Was auf internationaler Ebene bereits viel stärker gelebt wird. Digital Nomads, die auf Bali vom Strand aus arbeiten – kommt auch in Deutschland langsam an. Gerade unter Selbstständigen und Freiberuflern, aber auch unter Webdesignern und IT-lern sind Coworking Spaces in ländlicher Idylle bereits etabliert. Alternative Büros dieser Art finden sich vor allem in Schleswig-Holstein und im Brandenburger Land. Ob Pop-Up Coworking Spaces von CoWorkLand, die durch Norddeutschland touren, feste Standorte wie der ehemalige Gutshof Coconat in Klein Glien und die Kuckucksmühle, die im Brandenburger Land internationale Digitalnomaden beherbergt, oder der Hackerspace der Piratenpartei. Co-Working-Konzepte für das Land sind auch hierzulande auf dem Vormarsch.

ZURÜCK AUFS LAND

Die Gründe dafür sind nur allzu verständlich. In der Stadt fehlt bei all dem Lärm, Stress und der Beengtheit oftmals die Zeit durchzuatmen und die Gedanken zu sortieren. Vor allem fehlt der Weitblick. Da bietet die beschauliche Provinz schon mehr. Freiraum statt räumlicher Enge, Ruhe für Inspiration und einen grenzenlosen Horizont. Gleichzeitig ist die ländliche Region ein Platz, der wie kein anderer für Gemeinschaft und Team steht. Dieser Zusammenhalt und die „Anpackkultur“ sind für die Arbeitswelt gleichermaßen bereichernd. Zurück zum Ursprünglichen – das ist wohl das Letzte, was man mit Urbanisierung in Zusammenhang bringen würde, aber gerade deswegen ist es so vielversprechend. Es ist ja bekannt, dass früher oder später die meisten Trends recycelt werden. Vielleicht wird auch bald das spießige Eigenheim mit Garten wieder zum „Must-have“!

 

Quelle der Statistiken: deutschland.de